Kommunikation in Gang setzen

Stationen des Deutschunterrichts

Jedes Schuljahr wandern wir mit den Schülerinnen und Schülern durch die deutschsprachigen Gebiete entlang der auf Deutsch verfassten oder ins Deutsche übersetzten Literatur. Wir halten auf unseren Wanderungen im deutschsprachigen Raum an den Haltestellen Lyrik (wie singen), Dramatik (wie spielen), Epik (wie sagen). Und jedes Schuljahr aufs Neue kommt es darauf an, dass Schülerinnen und Schüler Zugang finden zu diesen Haltestellen. 

"Wer schreibt, der bleibt". Und doch kann alles auch anders gesagt werden. Die wundersame Entwicklung des Deutschen besteht darin, dass eine Sprache in ihrer Anwendung jedes Mal neu erfunden wird. Wie im Theater, wo etwas, das jeden Abend passiert, genau in dem Moment zwar als oft geprobte Routine, aber auch erstmals so und dann nie wieder genau so vor sich geht.  

Sprache wächst immer wieder hinaus über unsere von Vereinbarung und Gewohnheit eingeschnürte Natur, sie versucht dem, was zerrinnt und vergeht, noch schnell etwas Bleibendes abzuringen. Und jeder, der Deutsch liest, spricht, hört und schreibt, ringt mit um den richtigen Ausdruck und hat damit Anteil an den Geschichten der Welt. Diese Geschichten zu lesen, zu verstehen, zu deuten und daran mitzuschreiben, darum geht es im Deutschunterricht.

Deutschunterricht bedeutet auch, Goethe und Schiller zu lesen

Deutsch ist das Unterrichtsfach, in dem Deutsch gesprochen, Deutsch gelesen und Deutsch geschrieben wird. Willkommen und Abschied auf den literarischen Kontinenten des Deutschen, willkommen bei "Goethe", "Schiller", "Kleist", "Fontane", "Brecht", "Mann" USW. Das usw. schreiben wir hier groß. Denn: Noch immer sind es zuerst die deutsch schreibenden Männer, die genannt werden, wenn es um den literarischen Kanon geht. Solange das so ist, muss das USW, nämlich die Literatur von Frauen, noch groß geschrieben werden im Deutschunterricht. Gender mainstreaming - Sprache als Ausdruck politischen Bewusstseins, auch das gehört zum Deutschunterricht.

Auf gut Deutsch gesagt ist Deutsch eine Sprache und dient der Kommunikation. Es geht im Deutschunterricht um narrative Brücken zwischen Menschen, um die sprachliche Darstellung von Interessen, um die erzählerische Bewältigung der Welt.

"Wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen", sagt Wittgenstein. "Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt“. Der Deutschunterricht möchte diese Grenzen erweitern. 

Wenn das, was gesagt werden soll, angemessen, schön, oder - wo dies nötig sein sollte - sogar korrekt gesagt werden kann, dann darf der Deutschunterricht stolz mit Hölderlin behaupten: "Wir für uns können sagen, wir haben das Unsrige getan".

Doch wann ist etwas sprachlich „gut“ ausgedrückt? Was genau bedeutet "schön" gesagt? Schönheit ist Übereinstimmung mit sich selbst. So beschreibt es Sokrates. Ein Text, der will, was er soll, ist schön. Diese Schönheit kann ganz unspektakulär daher kommen und unbemerkt bleiben. Eine schöne Beschreibung, eine schöne Bewerbung. Sie kann auch theatralisch sein oder pathetisch wie in einer Rede, im Gedicht oder im Film.

Wann hat sich der Deutschunterricht gelohnt?

Was muss passieren, damit Schülerinnen und Schüler sagen: "Der Deutschunterricht hat sich gelohnt"? Der Deutschunterricht will Schülerinnen und Schülern dazu verhelfen, ihre Ausdrucksfähigkeiten (weiter) zu entwickeln, indem sie mündlich, schriftlich (und zunehmend multimedial) so kommunizieren, dass es dem Anlass angemessen ist. Es gehört somit zum Wesen des Deutschunterrichtes, anzustreben, dass Schülerinnen und Schüler ihren Gefühlen, Erlebnissen und Interessen treffsicherer Ausdruck verleihen können. 

Und was genau ist Deutsch? Wissen Sie es? Muss es die Aussprache „seines Deutsch“ oder „seines Deutschs“ oder „seines Deutschen“ heißen? Deutsche wissen es auch nicht immer. Der Duden als ein seit dem frühen 20. Jahrhundert im Verwaltungsdeutsch gültiges Normierungsinstrument ist eigentlich ein 'Kundenmagazin', das alles das, was sprachlich eingebürgert ist, irgendwann als richtig verzeichnet.

Nicht mehr Deutsch, kein Deutsch mehr verstehen, das bedeutet umgangssprachlich auch, etwas absichtlich nicht verstehen wollen - nicht gehorchen. Dies kann - abhängig vom Kontext - auch sympathisch sein und Autonomie bedeuten. Genau wie etwas auf "gut Deutsch sagen" bedeutet, deutlich und klar verständlich zu sprechen.

Timing - auf gut Deutsch heißt das, den richtigen Zeitpunkt für etwas finden. Die deutsche Übersetzung ist vergleichsweise länglich. Ist es also - zugespitzt gesagt - nur noch eine Frage der Zeit, dass der Deutschunterricht auf Englisch unterrichtet wird? Wir denken: Nein. Der Deutschunterricht befasst sich damit, den richtigen Ausdruck für etwas zu finden. Sein oder Nichtsein des Deutschen ist gar nicht in Frage gestellt. Denn: Auf gut Deutsch gesagt kann der treffende Ausdruck für etwas  ein ums andere Mal auch ein englischer, französischer oder ein lateinischer sein.

Gutes, gepflegtes Deutsch sprechen, bedeutet, Arbeit am Begriff leisten, Arbeit in den Ausdruck hineingeben, immer wieder. Auch für Muttersprachlerinnen und Muttersprachler gilt, dass Deutsch verstehen, sein Deutsch erweitern, überdenken, auf Deutsch schreiben und sprechen Herausforderungen darstellen.

Solche Reflexionen über Sprache sind ebenso Thema des Deutschunterrichtes wie Sprachmoden und die Geschichte der andauernden Veränderung der Sprache.